"Nachtflug stört nicht nur, er kann krank machen" - Kölner Stadt-Anzeiger vom 19.02.14
Interview mit Claudia Wieja aus Lohmar, sie leitet die Fluglärmkommission Köln/Bonn
Frau Wieja, NRW-Verkehrsminister Michael Groschek will beim Bundesverkehrsminister einen neuen Anlauf starten, ein Passagiernachtflugverbot am Kölner Flughafen zuzulassen. Sie haben als Vorsitzende der Fluglärmkommission (FLK) ein ähnliches Anliegen an Alexander Dobrindt (CSU) herangetragen. Wie kommentieren Sie seine Antwort?
WIEJA: Wir haben in der FLK beschlossen, den neuen Bundesverkehrsminister zu bitten, die Entscheidung seines Vorgängers Ramsauer zu revidieren. Sein Staatssekretär hat mir jetzt ablehnend geantwortet.
Und?
WIEJA: Er bleibt bei der aus unserer Sicht falschen rechtlichen Einordnung - obwohl die Betriebsgenehmigung den nächtlichen Passagierflug vom Vertrauensschutz ausnimmt und im Falle neuer rechtlicher und umwelttechnischer Gesichtspunkte ausdrücklich aktive Lärmschutzmaßnahmen zulässt. Diese neuen rechtlichen Rahmenbedingungen liegen seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes 2008 zum Flughafen Leipzig vor. Das Gericht hat damals nächtliche Passagierflüge in der Abwägung zum Lärmschutz unter besondere Rechtfertigungsnotwendigkeit gesetzt. Auch deswegen sollte NRW-Verkehrsminister Groschek es noch einmal versuchen und mit Minister Dobrindt in den Clinch gehen. Ich habe allerdings keine große Hoffnung, weil im Vertrag der großen Koalition in Berlin Nachtflugverbote rundweg abgelehnt werden.
Gibt es denn in der großen Koalition niemanden, der der NRW-Landesregierung in der Frage entgegenkommen will? Auch nicht in der SPD?
WIEJA: Das ist mein Eindruck. Ich habe mein Schreiben an den Bundesverkehrsminister auch an die drei Bundestagsabgeordneten der Region geschickt. Nur Norbert Röttgen hat geantwortet. Seine Auffassung ist aber, dass das Land NRW in dieser Frage gegen den Bund klagen sollte. Von den SPD-Kollegen habe ich nichts gehört.
Die vom Land eingeholten Gutachten sagen genauso wie weitere Experten, eine Klage sei aussichtslos, da der Bund die Rechts- und Fachaufsicht hat.
WIEJA: Das habe ich Herrn Röttgen auch geantwortet. Röttgen als früherer Bundesumweltminister und Jürgen Becker (CDU Siegburg) als sein früherer Staatssekretär hätten ja durchaus die Möglichkeit gehabt, im Bund für wirksamen Lärmschutz einzutreten.
Was heißt das für die lärmgeplagten Bürger? Klagen kann das Land nicht, Dobrindt wird seine Meinung nicht ändern. Was kann die Fluglärmkommission dafür tun, dass sich die Verhältnisse bessern?
WIEJA: Weiter kämpfen und den Gesundheitsaspekt deutlich in den Vordergrund rücken. Es geht nicht nur darum, dass der Lärm stört, sondern dass er zu gesundheitlichen Schäden führt. Auch das Argument des Flughafens, die Nachtflüge sicherten Arbeitsplätze, muss man den Menschen gegenüberstellen, die Burnout oder Herzrhythmusstörungen durch die nächtlichen Lärmbelastungen bekommen. Die werden bisher ja gar nicht mit eingerechnet.
Letztlich erfüllt die Fluglärmkommission doch brav ihre Rolle im Spiel der politischen Kräfte, ohne etwas bewirken zu können. Wäre es da nicht an der Zeit, deutliche Zeichen zu setzen?
WIEJA: Wir haben beratende Funktion. Wir haben 2013, als der Flughafen die Gebühren für besonders laute Maschinen angehoben hat, darauf hingewiesen, dass das keine Lenkungsfunktion hat. Wenn der Aufsichtsrat anders beschließt und das Ministerium das genehmigt, ist unsere Macht begrenzt. Daher setze ich auf noch mehr Information der Öffentlichkeit.
Hat die Teilnahme an der Fluglärmkommission überhaupt noch Sinn?
WIEJA: Für die Vernetzung der Kommunen ist sie sinnvoll. Ich will, dass sich der Austausch verbessert, auch bei der Aufstellung kommunaler Lärmaktionspläne. Dann könnten die Kommunen - mit Ausnahme der Stadt Köln - gemeinsam gegen den Nachtfluglärm auftreten und mit einer starken Stimme sprechen. Im Berliner Koalitionsvertrag steht ja auch, die Fluglärmkommissionen sollen gestärkt werden.
Was halten Sie denn vom Klageweg, den die Stadt Siegburg beschreitet? Ist das nur Show?
WIEJA: Siegburg und Lohmar gehen gemeinsam mit Bürgern aus ihren Städten vor. Ich halte das für einen sinnvollen Weg. Das ist keine Showveranstaltung. Die Klagen werden von einem guten Anwalt in Berlin geführt. In den nächsten zwei, drei Jahren wird es sicher noch kein Ergebnis geben. Es gibt ja auch mehrere Privatleute, die klagen und bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen wollen.
Der Koalitionsvertrag lässt befürchten, dass die Bundesregierung die Nachtflugpraxis in Köln/Bonn unangreifbar machen könnte. Was kann man dem entgegensetzen?
WIEJA: Zum Beispiel, dass eine solche Entscheidung durch den Bundesrat müsste. In NRW würden die Grünen das stoppen - selbst wenn die SPD dafür wäre. Die Folge wäre, dass sich NRW enthalten müsste, was im Bundesrat wie eine Nein-Stimme wirkt. Ohne Fortschritte bei der Nachtruhe keine Zustimmung der Grünen - ohne die Grünen keine Zustimmung von NRW. Also eine Chance für Verbesserungen.
Was halten Sie vom Argument des Flughafens, dass die Städte selber schuld seien, wenn sie in betroffenen Gebieten Wohngebiete ausweisen?
WIEJA: Für neue Wohngebiete teile ich das. An den meisten Stellen sind die Menschen aber länger da als der Nachtflug.
Aber den Städten entsteht doch dann ein finanzieller Nachteil durch den Flughafen.
WIEJA: Eigentlich müssten die Anrainerkommunen eine Entschädigung vom Flughafen dafür erhalten, dass sie in manchen Zonen keine Baugebiete ausweisen können. Sehenden Auges genau dort Leute anzusiedeln - das kann ich nicht billigen, wenn ich davon überzeugt bin, dass das gesundheitsschädlich ist.
Gibt es für die Kommission im bestehenden Rahmen noch Möglichkeiten, etwas für Lärmschutz zu tun?
WIEJA: Mittlerweile setzen die Logistikkonzerne verstärkt die Boeing 777 ein, die etwas weniger laut ist als die MD-11. Aber leider wird die Boeing hauptsächlich tagsüber eingesetzt. Das sind Dinge, auf die wir immer wieder hinweisen. Wir haben eine Arbeitsgruppe, die solche Fragen mit den Fluggesellschaften bespricht. Die sind ja auch nicht gegen alles, aber betrachten vieles unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Arbeit als Vorsitzende der Fluglärmkommission gesteckt?
WIEJA: Ein tolles Vorbild ist die Fluglärmkommission Frankfurt, die eine vom Land Hessen bezahlte Teilzeitkraft beschäftigt. Die recherchiert, vernetzt und gibt Informationen weiter. Aus Frankfurt bekomme ich alle zwei Tage einen Newsletter mit neuen Urteilen und Studien. Wir am Flughafen Köln machen das alle ehrenamtlich.
Die Kommunen könnten ja auch zusammenlegen. Haben Sie Pläne für mehr Öffentlichkeitsarbeit?
WIEJA: Die Menschen in Lohmar und Siegburg wissen, dass es eine Fluglärmkommission gibt, in der sie vertreten werden. Ich möchte das Thema bewusst aus dem Kommunalwahlkampf heraushalten. Aber die Kommunen müssen sehen, wie sie - notfalls ohne das Land - die Arbeit professionalisieren können. Dazu gehört auch Öffentlichkeitsarbeit. Der Flughafen gibt dafür übrigens viel Geld aus.
DAS GESPRÄCH FÜHRTEN LUTZ FEIERABEND, JÜRGEN RÖHRIG UND JOHANNES SCHMITZ