Verkehrskollaps - Mehr Platz für Radfahrer gefordert - KStA vom 27.03.2013
"Mobilität neu denken" - ein Anstoß auch für die Kölner Randkommunen?
Experten fordern mehr Investitionen in den Nah- und Radverkehr und eine bessere Vernetzung aller Verkehrsträger.
Der Radverkehr in Köln nimmt zu, was an sich einen positiven Trend gegen den drohenden Verkehrskollaps darstellt. Doch die Qualität des Kölner Radwegenetz lässt weiter zu wünschen übrig. Ein Interview mit SPD-Fraktionschef Martin Börschel

Köln wächst, die Mobilität steigt. Experten warnen seit langem vor einem Verkehrskollaps, wenn es nicht gelingt, den Autoverkehr zu verringern. In anderen Städten wie Kopenhagen oder Münster kann man sehen, wie das geht: Mit einem attraktiven Alternativangebot. Experten und Interessenvertreter diskutierten auf Einladung der SPD im Rathaus über die Zukunft der kommunalen Verkehrspolitik. SPD-Fraktionschef Martin Börschel fordert eine Verkehrswende.

Neuste Zahlen zeigen: Der Radverkehr in K
Börschel: Das stimmt leider. Es sind viele Investitionen in das Radwegenetz nötig. Noch wichtiger ist aber, dass man sich darüber klar wird, nach welchen Grundsätzen in Zukunft Verkehrspolitik gemacht wird. Wir müssen auf drei Trends reagieren: Das Bedürfnis nach Mobilität wächst. Zweitens: Die Menschen werden in der Wahl ihrer Verkehrsmittel immer individueller. Das Auto ist bei vielen kein Statussymbol mehr. Drittens: Weil immer mehr Waren im Internet bestellt werden, gibt es mehr Zuliefererverkehr, der auch kleine Straßen zunehmend belastet. Hinzu kommt eine kölnspezifische Herausforderung: Die Einwohnerzahl wächst, ohne das der Stadtraum größer wird.

Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Börschel: Die Übereinstimmung aller Experten beim SPD-Verkehrskongress – einschließlich der Vertreter von Industrie- und Handelskammer oder ADAC – hat mich überrascht: Die Herausforderungen lassen sich am besten mit einem Drittel-Mix bewältigen. Ziel muss sein, dass jeweils ein Drittel der Verkehrsbewegungen mit dem Auto, dem Fahrrad oder mit Bus und Bahn erfolgen. Davon ist Köln noch weit entfernt.

Im Moment macht das Auto noch knapp die Hälfte der Verkehrsbewegungen aus. Kann man das ohne Druck verändern?
Börschel: Wir wollen nichts von oben verordnen, sondern Angebote machen. Dass wir von diesem Drittel-Mix noch weit entfernt sind, ist auch den fehlenden Möglichkeiten und Angeboten geschuldet. Eine Kernaufgabe ist, die Verkehrsmittel besser miteinander zu vernetzen. Hier sind auch unsere Unternehmen Netcologne und KVB gefragt. Die KVB muss zu einem Motor der Entwicklung werden. Warum macht sie nicht selbst Angebote zum Carsharing oder Fahrradverleih – auch in den äußeren Bezirken? Und mit Netcologne haben wir den idealen Partner für die Digitalisierung von Verkehrsinformationen: Zur Vernetzung der Verkehrsträger gehört auch, individuell digitale Informationen über das jeweils beste verfügbare Verkehrsmittel zu bekommen.

Die Flächen in der zum Teil eng bebauten Stadt sind begrenzt. Wer Fahrradfahrern oder dem Nahverkehr mehr Platz geben will, muss ihn dem Autoverkehr nehmen…
Börschel: Auch deshalb plädieren wir dafür, eher eine Generalsanierung durchzuführen als sich mit Flickwerk zu helfen, wenn Reparaturbedarf besteht. Das bietet die Chance, den Straßengrundriss zu modernisieren und die Flächen zwischen den verschiedenen Nutzern besser zu verteilen. Wir werden dem Radverkehr mehr Fläche geben müssen.

Nach dem Desaster rund um den U-Bahn-Bau hat man den Eindruck, dass niemand mehr über den weiteren Ausbau des Nahverkehrs sprechen will. Gibt es in Zeiten knapper Kassen überhaupt noch Möglichkeiten für neue Verbindungen?
Börschel: Aber ja, das sind Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt. Die Zeiten des großen U-Bahn-Baus sind vorerst vorbei. Das heißt aber nicht, dass wir nicht weiter die Verbindungen verbessern müssen. Nicht gut angeschlossene oder neue Wohngebiete wie am Mülheimer Hafen müssen ans Nahverkehrsnetz angeschlossen werden. Dazu gehören auch Stadtbahn-Verlängerungen wie die Verlängerung der Linie 7 in Porz oder der Linien 3 und 4 in Richtung Kölner Norden.

Wer soll das bezahlen?
Börschel: Bund und Land dürfen uns nicht alleine lassen. Ich halte es zum Beispiel für richtig, die LKW-Maut auf alle Straßen auszudehnen. Die Einnahmen müssen zweckgebunden in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur fließen. Wir freuen uns über die Initiative des Oberbürgermeisters, eine Expertengruppe einzurichten. Wichtig ist, dass bei allen Entscheidungen die Bürger mitgenommen werden. Die Verkehrswende kann nicht von oben verordnet werden.

Expertengruppe mit OB Roters
Oberbürgermeister Jürgen Roters hat eine Expertengruppe gegründet, die sich mit den verkehrspolitischen Herausforderungen der Zukunft befassen soll. Unter dem Motto „Mobilität neu denken“ sollen die externe Fachleute sowie Vertreter von städtischen Ämtern und städtischen Betrieben wie die KVB „intensiv mit der Planung der Verkehrsströme in Köln, ihrer Sozial- und Umweltverträglichkeit und ihrer Finanzierung in der Zukunft beschäftigen“.

Der ehemalige Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums, Jörg Hennerkes, soll die Gruppe „Mobiles Köln 2020+“ leiten. Verkehrspolitik brauche eine aktive Steuerung, es gehe darum die Weichen für die nächsten zehn Jahre zu stellen. Roters forderte von Bund und Land mehr Geld. Sonst drohe eine Benachteiligung der Kölner Wirtschaftsregion. Das erste Treffen der Gruppe soll in Kürze stattfinden. (fra)

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